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„Das Allerschlimmste ist Menschen zu ignorieren“

Erfahrungsaustausch mit Sozialmediziner Gerhard Trabert und Botschafterin Nia Künzer zum Saisonabschluss von #wärmespenden

Spendenergebnis 140.000 Euro: Diakonie Hessen und Landesstiftung „Miteinander in Hessen“ ziehen positive Bilanz „

Viele Obdachlose berichten mir, dass sie gar nicht mehr in den Schlafsack reingehen, sondern ihn nur benutzen, um sich zuzudecken. Denn die Gewalt ihnen gegenüber nimmt zu, dass sie geschlagen werden und auf sie uriniert wird. Um dann schnell fliehen zu können, legen sie sich schon gar nicht mehr in den Schlafsack rein. Dass sie so diffamiert werden, als die ‚Asozialen‘ und dann noch diese Gewalt erfahren, ist auch ein wichtiges Thema. Kälte, Gewalt, kein Wohnraum – Obdachlose sind Menschen, die besonders unter der Entwicklung in unserem Land leiden“, so schildert der Sozialmediziner Gerhard Trabert seine Erfahrungen aus seiner Arbeit mit Menschen, die auf der Straße leben. Die Initiatoren von #wärmespenden, Diakonie Hessen und Landesstiftung „Miteinander in Hessen“, hatten den Arzt aus Mainz zusammen mit #wärmespenden-Botschafterin Nia Künzer und weiteren Gästen zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen. Moderiert wurde die Runde zum Saisonabschluss der Spendenaktion #wärmespenden von HIT RADIO FFH-Moderatorin Julia Nestle.

„Die soziale Ungleichheit in Deutschland macht es nötig, dass wir mit vereinten Kräften auf die Situation von wohnungslosen Menschen aufmerksam machen“, betonte der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Carsten Tag, im Rahmen der Gesprächsrunde.Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Leben derMenschen, u.a. durch den starken Anstieg der Energiepreise und der Lebenshaltungskosten, werden nach Einschätzung von Carsten Tag die soziale Ungleichheit und die Not vieler Menschen weiter verschärfen.

„Letzten Endes geht es auch um die Frage, wie viel Geld sind wir bereit, in das Sozial- und Gesundheitssystem zu stecken. Aus Studien heraus wissen wir: Jeder Euro, den wir in den Sozialbereich investieren, macht sich mehrfach bezahlt, da Folgekosten nicht entstehen.Auch unabhängig von ethischen Gesichtspunkten ist es rein ökonomisch geboten, hier mehr zu investieren und mehr Kapital in die Hand zu nehmen. Am Ende bedarf es auch der Hauptamtlichen sowie eines ausgebauten Beratungsstellensystems: Hier sind wir aktuell auf Kante genäht und benötigen dringend Unterstützung, um dazu beizutragen, nicht nur die Symptome zu lindern, sondern auch von vornherein zu verhindern, dass Menschen in solche Notlagen geraten“, sagte Carsten Tag in Offenbach.

Die ehemalige Fußballnationalspielerin Nia Künzer hatte über ihr Engagement als Botschafterin für #wärmespenden auch Gelegenheit direkt mit wohnungslosen Menschen in Kontakt zu treten. Während des Gesprächs zeigte sie sich nun besonders beeindruckt von der Begegnung Anfang Februar mit einer Frau, die bis vor kurzem noch auf der Straße bzw. in einem Gebüsch gelebt hatte und die jetzt in einem kleinen Wohncontainer untergebracht wurde. „Es war sehr nass-kalt an diesem Tag, von daher ist es nicht vorstellbar für mich,draußen zu übernachten, zu überleben. Ich könnte mir vorstellen, dass es für alle sehr schwierig ist, draußen zu überleben, aber natürlich als Frau noch mal schwieriger, da die Angst vor Übergriffen und Gewalt eine größere Rolle spielt“, sagte Künzer.

#wärmespenden ist ein großer Erfolg
In einer Zeit, in der es nichts anderes als schlechte Nachrichten zu geben scheint, setzt#wärmespenden ein positives Zeichen. Die Spenden von über 800 Menschen haben erneut zu einem großartigen Ergebnis geführt. Mit 140.000 Euro ist eine Punktlandung auf dem Vorjahresergebnis gelungen. #wärmespenden hat in den Wintermonaten erneut an vielen Orten in Hessen geholfen und Soforthilfe geleistet. Die Aktion sorgt vor allem dafür, dass Menschen, die auf der Straße leben und denen es am Nötigsten fehlt, nicht erfrieren. Dabei können sich die Initiatoren auf eine große Resonanz und Solidarität in Hessen verlassen. Die Aktion fand bereits zum vierten Mal statt.

Nicht wegschauen, sondern im Notfall erste Hilfe leisten
„Die starke Resonanz auf #wärmespenden verdeutlicht, dass den Hessinnen und Hessen das Schicksal wohnungsloser Menschen nicht gleichgültig ist“, betonte der Geschäftsführende Vorstand der Landesstiftung „Miteinander in Hessen“, Heinz Zielinski. „Dank der großen Unterstützung konnten wir Menschen, die auf der Straße leben,unkompliziert helfen und damit das Miteinander in Hessen stärken. Trotz eigener Sorgen und Nöte, die die Menschen in Zeiten von Krieg und Corona belasten, haben die Hessinnen und Hessen den Obdachlosen zur Seite gestanden. Dafür danken wir allen von Herzen.“

Das Allerschlimmste ist Menschen zu ignorieren
Auf die Frage, wie wir alle im Alltag wohnungslosen Menschen das Leben erleichtern könnten, rät Stefan Gillich, Leiter der Spendenaktion #wärmespenden und bei der Diakonie Hessen zuständig für Wohnungsnotfallhilfe: „Von ganz vielen Betroffenen habe ich die Rückmeldung bekommen, dass es für sie das Schlimmste ist, da zu sitzen und von allen Passanten ignoriert zu werden. Wenn ich nicht anders kann oder will, sollte das Mindeste ein freundliches ‚Guten Tag‘ sein. Ich glaube diese Ignoranz ist das Schwierigste“, so Gillich.

Die Not wird von Jahr zu Jahr größer, und Corona verschärft die Situation zusätzlich. Das Leben auf der Straße hinterlässt seine Spuren. Die meisten wohnungslosen Menschen sind durch Vorerkrankungen geschwächt und besonders anfällig für Infektionen. Diese Not gilt es zu mildern. Das Prinzip der Aktion #wärmespenden ist denkbar einfach: Jede Privatspende bis 500 Euro wird von Firmen und Stiftungen im Rahmen eines so genannten Matching Fund verdoppelt. Von den Geldern werden winterfeste Schlafsäcke und weitere Soforthilfen wie Isomatten, Gaskocher oder Zelte für Menschen finanziert, die auf der Straße leben.

Gemeinsam stark: Engagierte Bürger*innen, Prominente und Firmen
*Für ihr Anliegen hatten die Initiatoren auch in der Saison 2021/22 prominente Unterstützungan ihrer Seite, neben Werbevermarkter Ströer, Energieversorger Mainova und dem Medienpartner HIT RADIO FFH machten sich die Schriftstellerin Nele Neuhaus, die FFH-Moderatorin Julia Nestle, der Fußball-Nationalspieler Emre Can und der Musikproduzent Moses Pelham als Botschafter*in für #wärmespenden stark. Für die Werbeaktivitäten werdenkeine Spendengelder aufgewendet; alle Gelder fließen zu 100 Prozent in die Finanzierung der Soforthilfen.

Link zum Abschlussgespräch #wärmespenden 2022 auf Youtube: www.youtube.com/watch

Hintergrund

Immer mehr Obdachlose in Hessen
Die Diakonie Hessen hat zusammen mit den anderen hessischen Wohlfahrtsverbänden2020 Alarm geschlagen: die Zahl der wohnungslosen Menschen steigt weiter an. Dies geht aus der „Liga-Stichtagserhebung Wohnungsnotfallhilfe 2020“ hervor. Die Daten wurden Ende Februar 2020 erhoben, kurz vor Beginn der Corona-Einschränkungen. Angesichts der Corona-Folgen befürchten die Verbände, dass durch Einnahme- und Jobverluste, Überschuldungen, persönliche Krisen und Mietzahlungsschwierigkeiten die Anzahl wohnungsloser Menschen weiter zunimmt. Während des Stichtags hatten die Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe in Hessen Kontakt zu knapp 3.500 Menschen. Nach Einschätzung der Diakonie Hessen liegt die Gesamtzahl wohnungsloser Menschen in Hessen jedoch deutlich höher. Die Expert*innen rechnen zudem durch die Corona-Krise mit einem zusätzlichen Anstieg an wohnungslosen Menschen, die auf der Straße leben.

Landesstiftung „Miteinander in Hessen“
Die Landesstiftung „Miteinander in Hessen“ ist eine Stiftung öffentlichen Rechts. Sie fördert das bürgerschaftliche Engagement der Menschen in Hessen, indem sie Institutionen und private Initiativen unbürokratisch unterstützt und so das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen und den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkt.

Wohnungsnotfallhilfe Diakonie Hessen
Die Mitarbeitenden in den 85 Diensten und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie Hessen unterstützen jährlich Ratsuchende in etwa 40.000 Beratungsgesprächen. An 20 verschiedenen Standorten gab es 2019 rund 250.000 Besuche und Kontakte mit wohnungslosen Menschen in den Einrichtungen und Diensten der Diakonie Hessen. Dazu gehören Fachberatungsstellen, aber auch Tagesaufenthalte mit Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, Einrichten einer Postadresse, Gelegenheit zum Wäschewaschen, zur Körperpflege oder auch zur Zubereitung von warmen Mahlzeiten. Darüber hinaus bieten Einrichtungen Übernachtungs- und Wohnmöglichkeiten oder betreutes Wohnen an. Zudem gibt es Streetwork und an sechs Standorten eine medizinische Erstversorgung.

Foto: © Diakonie Hessen / Schöneck